16.05.2015

Kommentar

Gut gedacht, gut gemacht

Im Grundsatz sind wir uns einig: Menschen mit Behinderung haben das gleiche Recht, wie alle anderen, am gesellschaftlichen teilzuhaben. Nur bei der Umsetzung gibt es unterschiedliche Ansätze. Susanne Haverkamp fragt in ihrem Kommentar gar: "Gibt es eine politische Leitidee in Sachen Inklusion?"

Im Grundsatz sind sich alle einig: Menschen mit Behinderung haben das gleiche Recht wie alle anderen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben; sie haben das Recht auf Selbstbestimmung und darauf, möglichst selbstständig zu leben. „Inklusion“ statt „Spezialbetreuung“, wer wollte da widersprechen?

Auch für Erziehung und Schule gilt dieser Grundsatz: Gemeinsam geht es besser. Wenn Kinder möglichst früh erleben, dass es Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen gibt, klappt das Zusammenleben besser. Man kann voneinander profitieren, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft lernen und spüren: Es ist falsch, stets die intellektuellen Fähigkeiten über alle anderen zu stellen. 

Nur: Gute Ideen reichen nicht, sie brauchen auch eine gute Umsetzung. Und dazu ist viel guter Wille erforderlich, aber (leider) auch das entsprechende Geld. Das gilt etwa für Schulen, die erleben, dass die wenigen Stunden von Sonderpädagogen nicht ausreichen, um behinderte Kinder gut zu fördern; sie gehen unter im Gewusel einer 25er Klasse. Die wenigsten verweigern sich der Idee der gemeinsamen Schule – aber viele Lehrer fühlen sich überfordert. Und Eltern fürchten, dass man weder den Kindern mit Behinderung gerecht wird, noch denen ohne.

Ähnlich ist es beim Wohnen. Wenn etwa die „Arche-Gemeinschaften“, die ein Modell des Miteinanderlebens gefunden haben, darüber klagen, dass „ambulante Hilfe“ als Grundsatz über allem steht und ihre Idee vom Lebenteilen kaum noch unterstützt wird, dann gilt es, nachzufragen: Wird eine politische Leitidee absolut gesetzt? Werden die Interessen der „Betroffenen“ dieser Leitidee untergeordnet? Bleibt es weiterhin möglich, unterschiedliche Lebensweisen zu realisieren? Muss „Alleinleben“ für alle der Leitstern sein? Und: Steht wirklich immer das Wohl von behinderten Menschen im Vordergrund oder manchmal auch das Wohl der Kassen?

Natürlich: Niemand hat das verbriefte Recht, seine Lieblings-idee vom Leben finanziert zu bekommen. Aber Inklusion bedeutet eben nicht, alle und alles „über einen Kamm zu scheren“, für alle und alles eine identische Lösung anzubieten. Und schon gar nicht heißt es, Menschen mit (geistiger) Behinderung zu ihrem staatlich verordneten Glück zu zwingen – weder in Erziehung und Schule noch in Arbeits- oder Lebensmodellen. Die Freiheit der Entscheidung, wie ich leben oder lernen möchte, ob ich allein oder in Gemeinschaft lebe, die muss bleiben. Und darf nicht am Geld scheitern.

Von Susanne Haverkamp