27.07.2015
Ist der Einschub im Vaterunser vorgeschrieben?
Muss der Einschub „Erlöse uns, Herr, von allem Übel …“ beim Vaterunser erfolgen oder nicht? W. S., Senftenberg
Für das Vaterunser gibt es zwei biblische Vorlagen: Die Fassung im Matthäus-evangelium (6,9–13), die unserem gewohnten Text deutlich näher kommt, und eine kürzere Fassung bei Lukas (11,2–4).
Schon sehr früh in der Liturgiegeschichte gibt es zwei Ergänzungen. Die sogenannte „Doxologie“, der Lobpreis „Denn dein ist das Reich ...“, ist schon in der „Didaché“ bezeugt, einer Liturgiebeschreibung vom Ende des 1. Jahrhunderts. Der „Embolismus“, die Verse „Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater von allem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen ...“, ist ebenfalls früh zu finden und eine „Ausfaltung“ der letzten Vaterunserbitte sowie eine Weiterführung im Hinblick auf den Frieden in der gegenwärtigen Zeit. In der Messliturgie kann sie deshalb auch als Brücke zum Friedensgruß verstanden werden.
Der Unterschied zwischen den beiden „unbiblischen“ Ergänzungen: Die Doxologie war von Anfang an ein Gemeindegebet, das von allen gesprochen wird – deshalb ist es nach und nach ein „echter“ Teil des Vaterunsers geworden. Der Embolismus dagegen ist ein Klerikergebet – vom 9./10. Jahrhundert bis zur Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils sogar ein stilles Priestergebet, dessen Text niemand hörte; deshalb wirkt es mitunter als „Fremdkörper“ innerhalb der vertrauten Worte.
Muss der Einschub nun erfolgen? Nach Messbuch: ja! Allerdings wird er mitunter aus „pastoralen Gründen“ weggelassen, etwa in Gottesdiensten mit Kindern, die sich freuen, wenn sie ein gelerntes Gebet auch wie gewohnt sprechen dürfen. Auch in Messen mit vielen evangelischen Gästen (z.B. Erstkommunion) entfällt es oft, damit die Konfessionen die verbindenden Worte gemeinsamen sprechen können – ohne irritierende Ergänzungen und ohne Durcheinander beim Mitbeten. Es stellt sich eben immer die Frage, wie weit die Verbindlichkeit in der Liturgie reicht und wie weit die pastorale Verantwortung der Vorsteher der Feier. Da gehen die Meinungen weit auseinander.
Von Susanne Haverkamp