04.05.2015
Kann jemand Märtyrer sein, wenn er noch lebt?
Ich habe gelesen, Kardinal Rainer Maria Woelki habe den jungen Muslim Lassana Bathily, der während der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris Anfang Januar mehrere Besucher im Kühlraum versteckt hatte, einen „Märtyrer unsere Tage“ genannt. Sind Märtyrer denn nicht immer tot? Der junge Mann lebt ja, Gott sei Dank, noch. D. S., Aachen
Ein „Märtyrer“ ist dem griechischen Wort „martys“ nach ganz allgemein zunächst ein „Zeuge“, ein Bekenner des Glaubens. In der Zeit der Christenverfolgung der ersten Jahrhunderte waren damit in letzter Konsequenz solche Christen gemeint, die für das Bekenntnis zu Christus auch ihr Leben gegeben haben.
Es gab aber auch Christen, die verfolgt und bedrängt wurden wegen ihres Glaubens, dafür aber nicht sterben mussten. So suchte man früh nach entsprechenden Begriffen wie „Bekenner“ oder „Märtyrer“ oder „Zeuge“. Die Wortbedeutungen variierten jedoch. Es kommen Glaubenszeugen hinzu, die nicht christlich waren – oder die von Christen wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Der Begriff ist also schwierig und mehrdeutig.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist heute vom „Märtyrer“ die Rede, wenn jemand wegen seines Glaubens gestorben ist. Deshalb ist es zunächst vielleicht verwirrend, wenn Kardinal Woelki von einem „Märtyrer unserer Tage“ spricht und eine lebende Person meint. Er greift damit aber die Grundbedeutung des Wortes auf. So hat er bei einer Veranstaltung mit Vertretern der Politik in NRW zu Beginn des Jahres aus damals aktuellem Anlass vor selbst ernannten Märtyrern gewarnt. Diese verkehren den Inhalt des Märtyrertums ins Gegenteil, wenn sie Ideologien nachlaufen und in eifernder Wut selbst Gewalt anwenden. Mit Glaubenszeugnis hat das nichts zu tun.
Ein Märtyrer im christlichen Sinne widersetze sich demgegenüber – so Kardinal Woelki – allen Bestrebungen, das Leben oder die Würde anderer zu verletzen, selbst um den Preis und auf die Gefahr hin, das eigene Leben dabei zu verlieren.
So nannte der Kardinal den jungen Muslim Lassana Bathily aus Mali einen „Märtyrer unserer Tage“, weil dieser während der Geiselnahme unter eigener Lebensgefahr mehrere Besucher im Kühlraum eines Pariser Supermarktes versteckt hatte.
Von Michael Kinnen