21.01.2015
Die katholische Gemeinde in Glinde bringt ihre ganze Stadt in einer Hilfsaktion zusammen
Wintermäntel für Dohuk
Nordirak zittern die Menschen im kältesten Winter seit zehn Jahren. In ganz Glinde haben sich jetzt Unterstützer gefunden, um mit warmen Kleidern und anderen Sachen die Not zu linden. Die Fäden laufen in der katholischen Gemeinde zusammen. Nicht zum ersten Mal: Denn der Männerkreis der Gemeinde ist seit langem in der Flüchtlingshilfe aktiv.
Haider Alias (links), Matthias Gillner und ganz Glinde setzen sich für Flüchtlinge im Irak ein. Foto: Marco Heinen
Haider Alias rüstet sich für eine große Reise. Er wird in den Irak fliegen und im Ort Dohuk die Verteilung von Hilfen für Flüchtlinge organisieren. Die Hilfsgüter – warme Kleidung, Decken, Teppiche und Kinderspielzeug – kommen in einem LKW nach. Der Lastwagen, der am Sonntag in Glinde vollgepackt wurde, fährt durch die Türkei über sichere Straßen in den Nordirak. Dort wird Alias dafür sorgen, dass die Sachen dort landen, wo die Not am größten ist. „Denn viele Hilfstransporte kommen in einigen Lagern gar nicht an“, sagt Alias.
Haider Alias ist 18. Seine Eltern und er kamen vor zehn Jahren nach Glinde. Sie alle gehören zu einer angesehenen jesidischen Familie. Haiders Urgroßvater war sogar das geistliche Oberhaupt, der „Babe Sheik“, der Jesiden. Seit die Terrormiliz „Islamischer Staat“ diese Religion verfolgt, sind die meisten Jesiden in sichere, kurdische Gebiete geflohen. Dort leben sie jetzt in Zeltstädten – die größten Lager beherbergen zur Zeit 25 000 Menschen.
„Auch meine Großeltern sind vor der IS geflohen“, erzählt Haider Alias. Gab es eine Möglichkeit, sie nach Deutschland zu holen?
Die Familie wandte sich an die katholische Gemeinde in Glinde. Das war kein Zufall. Denn seit vielen Jahren ist der Männerkreis der Gemeinde in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Schon viele Asylbewerber hat die Gruppe begleitet. „Wenn man einmal damit anfängt, hört es nicht auf“, sagt Dr. Matthias Gillner, Leiter der Gruppe. Mittlerweile ist er Pate von drei Flüchtlingskindern und sitzt in der Härtefallkommission des Landes Schleswig Holstein. Dort wird über Aufenthaltsgenehmigungen in Notfällen entschieden. Gillner erkundigte sich nach den Möglichkeiten für ein Visum. Aber es stellte sich heraus: das wird schwierig.
„Wir haben dann gesagt: Wir machen das einzige, was von hier aus möglich ist: Wir starten ein Hilfsprojekt im Irak.“ Also startete die Gemeinde einen Spendenaufruf. In und um Glinde sammelten die Menschen Kleider und Spielzeug, ein Krankenhaus stellte Pflegebetten zur Verfügung. „Interessant war, was dann passierte“, sagt Matthias Gillner. Denn überall in der Stadt fanden sich Mitstreiter. Zum Beispiel die Aktion „M.u.T.“ (Menschlichkeit und Toleranz) oder die Gruppe „Glinde gegen rechts“, die sich ohnehin im katholischen Gemeindehaus trifft.
Außer den Sachspenden brauchten die Initatoren auch Geld: 5000 Euro für den LKW und Flug. Mit bangem Gefühl stieg Regina Gillner im Sonntagsgottesdienst vor die Gemeinde. „Wir haben schon für die Sternsinger gesammelt, wir sammeln für den Kirchenumbau, und jetzt auch noch für den Nordirak.“ Währenddessen kamen schon wieder Meldungen aus der Krisenregion. Kinder erfrieren in den Lagern, der Winter ist härter als gewöhnlich. Aber wieder halfen andere Organisationen mit. Ein Darlehen über 2000 Euro, eine 1000-Euro Spende von „Glinde gegen rechts“. Ergebnis: Am Sonntag verließ der elf Meter lange Lastwagen, „bis auf den letzten Kubikzentimeter vollgestopft“, das Gemeindegelände.
Für Matthias Gillner ist all das nicht nur eine erfolgreiche Hilfsaktion. Sondern auch ein Beispiel, wie eine Kirchengemeinde an ihrem Ort wirken kann: nicht als geschlossener Kreis von Frommen, sondern gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Kräften in der Stadt. „So stelle ich mir Kirche vor“, sagt Matthias Gillner.
Text: Andreas Hüser